Ich bin den Menschen dankbar, die an Bauprojekten arbeiten

Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des UVEK, spricht im Interview über die Herausforderungen der Corona-Pandemie, Nachhaltigkeit sowie Zukunftsinvestitionen im Bau.

Frau Bundesrätin Sommaruga, Im Jahr 2020 waren Sie UVEK-Vorsteherin und Bundespräsidentin. Nun ging das Präsidium an Guy Parmelin weiter. Spüren Sie eine Entlastung im neuen Jahr?  
Simonetta Sommaruga: Nicht wirklich. Klar sind gewisse Aufgaben weggefallen, die ich als Bundespräsidentin hatte. Umso mehr bin ich aber im UVEK gefordert.  
 
Im Januar wurden über 100‘000 Unterschriften gegen das CO2-Gesetz eingereicht. Ist das Bewusstsein für unser Klima bei der Bevölkerung bereits wieder vorbei? 
Nein. Der Klimaschutz hat einen breiten Rückhalt. Das haben wir auch im Parlament gesehen: Da haben mit FDP, CVP, SP, GLP, BDP und Grüne fast alle Parteien das CO2-Gesetz unterstützt. Zudem stehen zahlreiche Wirtschaftsverbände hinter der Vorlage, von der Maschinenindustrie über die Bankiervereinigung bis hin zu den Stromunternehmen. Dass die Erdölbranche das Referendum ergreift, war absehbar.  
 
Auch in der Baubranche ist man noch verhalten gegenüber dem Gesetz. Wo liegen denn die Vorteile für die Bauunternehmen? 
Mit dem CO2-Gesetz schützen wir nicht nur das Klima, sondern machen auch etwas für das Gewerbe. Das Gesetz unterstützt nämlich klimafreundliche Investitionen in Gebäude und Infrastrukturen. Wenn wir mehr Gebäude sanieren, neue klimafreundliche Heizungen einbauen oder energietechnisch gute Überbauungen erstellen, gibt das Aufträge und sichert Arbeitsplätze. Darum unterstützt der Dachverband der Baubranche Bauenschweiz das Gesetz genau wie der Gebäudetechnikerverband suissetec, die Holzbaubranche oder der Baumeisterverband. 
 
Sie erwähnen Investitionen in Infrastrukturen. Was meinen Sie da?  
Das CO2-Gesetz fördert Investitionen in unsere Fernwärmenetze. Da haben vor allem die Schweizer Städte grosses Potenzial. Viele Städte und Gemeinden erschliessen ihre Quartiere zunehmend mit Fernwärme. Das braucht neue Verteilnetze. Um diese zu bauen, brauchen wir die Bauunternehmen. Zudem unterstützt das Gesetz den Bau von Ladestationen in Wohnsiedlungen und Mehrfamilienhäusern. Das ist wichtig: Wenn immer mehr Leute mit einem E-Auto unterwegs sind, brauchen sie eine Ladeinfrastruktur, vor der Haustüre und entlang der Strassen. 
 
In den Medien liest man vor allem von der Flugticketabgabe und der Treibstoffabgabe. Der grösste Hebel, um den CO2-Ausstosses in der Schweiz zu reduzieren, liegt jedoch in der Modernisierung des Gebäudeparks, der rund einen Drittel der CO2-Emissionen ausmacht. Wurde der Fokus falsch gesetzt?  
Nein. Die Gebäude haben zwar weniger mediale Aufmerksamkeit, sie sind aber entscheidend für den Klimaschutz. Das Gesetz sieht darum im Gebäudebereich wirksame Massnahmen vor. Hauseigentümer erhalten finanzielle Unterstützung, wenn sie ihre Häuser sanieren. Bei Neubauten ist schon heute Standard, dass sie kein CO2 mehr ausstossen. Neu wird dies im Gesetz verbindlich festgehalten. Mit diesen Massnahmen werden die richtigen Anreize gesetzt, damit der CO2-Ausstoss auch im Gebäudebereich sinkt. Es werden mehr effiziente Neubauten erstellt, Fassaden isoliert, Estriche, Keller und Flachdächer gedämmt - im Gebäudebereich kann die Bauwirtschaft einen grossen Beitrag leisten.  
 
 
Den Kantonen stehen aus dem Gebäudeprogramm jährlich 450 Millionen Franken zur Verfügung. In den letzten Jahren wurde dieser Beitrag aber bei weitem nicht erreicht. Sind die Anforderungen zu hoch? Oder fehlt es am Wissen, dass diese Förderung überhaupt besteht? 
Das Gebäudeprogramm hat in den letzten 10 Jahren knapp 2 Milliarden Franken an Fördergeldern ausbezahlt und damit über 4 Milliarden Franken an Mehrinvestitionen ausgelöst. Dank dem Gebäudeprogramm stösst der Schweizer Gebäudepark heute jährlich 600’000 Tonnen weniger CO2 aus. Es ist also eine Erfolgsgeschichte, für das Klima, aber auch für die Baubranche. Die Kantone wissen das.  
 
Neu bietet das CO2-Gesetz den Kantonen die Möglichkeit, für Ersatzneubauten einen sogenannten Ausnützungsbonus von bis zu 30 Prozent zu ermöglichen. Wie können Sie als Bundesrätin sicherstellen, dass dieses für die Baubranche wichtige Instrument auch in den Kantonen umgesetzt wird? 
Der Bund kann die Kantone nicht zwingen – und ich als Bundesrätin auch nicht. Die Kantone haben aber einen starken Anreiz, den Ausnützungsbonus von sich aus zu aktivieren und dank der Gesetzesbestimmung spüren sie nun auch die Erwartung von Bundesseite. 
 
Dank diesem Ansatz schlagen wir mit Ersatzneubauten gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir verringern den CO2-Ausstoss und verdichten gleichzeitig. Eine gute Idee?  
Die Bevölkerung hat 2013 mit dem Ja zum Raumplanungsgesetz klargemacht, dass wir den Boden sorgfältig nutzen müssen. Dazu gehört auch, dass dort verdichtet wird, wo dies sinnvoll ist. Wenn Überbauungen dann auch gut für das Klima sind, haben wir eine echte Win-win-Situation.   
 
Trotz den Vorteilen von Ersatzneubauten wird in der Schweiz jährlich nur rund 1 Prozent des Gebäudeparks modernisiert. Langwierige Bewilligungsverfahren und unzählige Regulierungen schrecken Immobilienbesitzer ab. Wie kann der Bund hier unterstützen? 
Mit dem neuen CO2-Gesetz fördert der Bund die Modernisierung im Gebäudebereich gleich doppelt. Zum einen gibt es wie erwähnt den Ausnutzungsbonus. Zum anderen werden Hausbesitzer via Gebäudeprogramm bei der Modernisierung finanziell unterstützt. Für die Bauverfahren hingegen sind die Kantone zuständig. Da hat der Bund keinen Einfluss.  
 
Der Fünf-Punkte-Plan des Baumeisterverbandes fordert während der Corona-Krise, dass die öffentlichen Bauherren weiterhin Bauprojekte forcieren. Als UVEK-Vorsteherin sind Sie nah am ASTRA und auch an der SBB. Sind sie auf Kurs? 
Baustellen werden auch während der Pandemie wenn möglich am Laufen gehalten, natürlich mit den nötigen Schutzkonzepten für die Arbeitenden. Ich bin den Menschen sehr dankbar, die an diesen Projekten arbeiten. Unser Land braucht eine starke Infrastruktur. Deshalb bauen wir dort aus, wo es Sinn macht. Gleichzeitig schauen wir, dass unsere Infrastrukturen gut im Schuss bleiben. Ich habe dem Bundesrat darum letztes Jahr ein Investitionspaket von 14 Milliarden Franken für die Bahninfrastruktur vorgelegt. Mit diesem Geld halten wir Tunnel, Brücken, Perrons und Fahrleitungen instand.  
  
Anfang Jahr trat das neue Bundesgesetz über die öffentlichen Beschaffungen (BöB) in Kraft. Spüren Sie den Paradigmenwechsel in Ihrem Departement? 
Das neue Gesetz ermöglicht es, mehr Wert auf die Nachhaltigkeit der eingereichten Angebote zu legen. Davon profitieren Firmen, die auf Qualität und Innovation setzen. Die neue Beschaffungsstrategie der Bundesverwaltung wird Zeit brauchen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Die Richtung stimmt aber. 
 
Neu sollen qualitative Kriterien anstatt des Preises im Vordergrund stehen. Warum ist das der richtige Weg? 
Wir alle wissen: Es kommt nicht nur auf den Preis eines Produkts an, sondern auch auf die Qualität. Dieser Gedanke gilt jetzt auch bei Beschaffungen verstärkt.  
 
Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit gibt es für Bauherren viele Möglichkeiten. Der Einsatz von Recyclingbeton wäre einer, ist aber noch nicht weit verbreitet. Ist der Bund hier bereit, eine Vorreiterrolle zu übernehmen, auch wenn die Kosten aktuell noch höher sind? 
Die Kreislaufwirtschaft gewinnt an Bedeutung, im Baubereich und anderswo. Ich finde den Einsatz von Recyclingbeton darum sehr interessant. Die Standards des ASTRA im Bereich des Asphaltbetons schreiben die Wiederverwendung von bis zu 80 Prozent Recyclingasphalt vor. Diese Standards sind für die beauftragten Unternehmer verbindlich. 
 
Leider stellen unsere Mitglieder bei der Ausführung von Projekten vom ASTRA und vereinzelt auch von der SBB fest, dass Bauherr und Auftragnehmer vermehrt im Clinch oder sogar vor Gericht landen. Ist die Fähigkeit einer pragmatischen, lösungsorientierten Kompromissfindung abhandengekommen? 
Ich hoffe nicht. Es gehört zur Schweiz, dass wir immer wieder gemeinsam Lösungen finden. Klar ist aber auch, dass Vorschriften eingehalten werden müssen. Auch das gehört zur Schweiz.  
 
Eine Möglichkeit, dem Entgegenzuwirken, wären neue Kooperationsmodelle, in welchen Bauherr und Anbieter früher zusammenarbeiten und gemeinsam Projektoptimierungen vorantreiben. Ist das ein Modell für die Zukunft? 
Bereits heute werden technische oder organisatorische Optimierungen, welche die Anbietenden vorschlagen, berücksichtigt. Das ASTRA plant zudem, bereits im laufenden Jahr zwei Pilotprojekte im Dialogverfahren durchzuführen. 

Welche Anliegen haben Sie an die Bauunternehmen in diesem Land? 
Den Bauunternehmen kommt eine wichtige Rolle zu, wenn wir beim Klimaschutz vorwärtskommen wollen. Sie bauen unsere Infrastruktur, unsere Wohnungen und Häuser und gestalten unser Land. Ich freue mich deshalb, dass die Baubranche das neue CO2-Gesetz mitträgt und damit die Chancen sieht, die der Klimaschutz für uns alle bietet.  

Über den Autor

pic

Schweizerischer Baumeisterverband

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