«Eine gute Lebensqualität ist wichtig»

Olivier Feller, FDP-Nationalrat aus dem Kanton Waadt, Direktor der Chambre vaudoise immobilière und Generalsekretär der Fédération romande immobilière, erläutert im Interview, weshalb sich bei Verdichtungsprojekten eine gute Qualität auszahlt.

Abstimmungsresultate zeigen häufig, dass die Schweizerinnen und Schweizer einen sorgfältigen Umgang mit Landreserven wünschen. Allerdings ist es trotzdem so, dass Verdichtungsprojekte häufig auf Widerstand aus eben diesen Bevölkerungskreisen stossen. Worauf führen Sie das zurück? 
Olivier Feller: Das ist in meinen Augen kein Widerspruch. Die Schweizerinnen und Schweizer wünschen sich, dass die Schönheit der Landschaft und der Umgebung beibehalten wird, national und lokal. Die Lebensqualität soll erhalten bleiben. Wenn man plant, dass man kleinere Mehrfamilienhäuser durch grössere mit einer höheren Anzahl Wohnungen ersetzt, dann weckt das Ängste. Die Leute fragen sich, wie es um die Ruhe stehen wird, zum Beispiel. Das bedeutet, dass Verdichtungsprojekte eine grosse Lebensqualität garantieren müssen, sonst riskiert man Opposition. Natürlich ist es eine grosse Herausforderung, Bauprojekte so zu planen, dass trotz einer verdichteten Bauweise die Ruhe garantiert wird, dass dennoch Grünräume bestehen bleiben. Aber wenn man nicht sorgfältig und qualitativ hochstehend plant, dann kommt es nicht gut heraus. Wichtig ist auch eine gute Durchmischung, sonst kommt es zu einer Ghettobildung – die Gefahr ist umso grösser, wenn der Wohnraum nicht attraktiv ist.  
 
Als negatives Beispiel in Sachen Stadtplanung gilt unter anderem London: Die Leute wohnen sehr weit weg von ihren Arbeitsplätzen. Was braucht es, dass es Städten gelingt, dass sich Wohn- und Gewerberaum nicht allzu weit voneinander entfernen? Heute trennt die Zonenplanung Wohn- von Gewerbezonen. Das machte früher, als das Gewerbe laut war und Emissionen verursachte, Sinn. Heute stehen in den Gewerbezonen Büroräumlichkeiten. Eine Umfrage des SBV hat herausgefunden, dass die Menschen sich wünschen, dass Arbeitswege kürzer werden, dass man näher beim Arbeitsplatz wohnen kann. Wie denken Sie darüber? 
Feller: Das Problem ist, dass Wohnraum, der sich in der Nähe von Arbeitsplätzen befindet, relativ teuer ist, für viele Schweizerinnen und Schweizer zu teuer. Das ist auch in London der Fall. Im Stadtzentrum hat es durchaus Wohnungen, sogar sehr schöne Wohnungen. Aber die Krankenschwestern oder die Verkäufer in den Einkaufszentren können sie sich nicht leisten. Sie müssen dorthin ziehen, wo der Wohnraum für sie erschwinglich ist. Das muss man immer im Auge behalten. In städtischen Zentren sind Wohnungen für eine Mehrheit schlicht nicht mehr bezahlbar. Menschen mit geringeren Einkommen ziehen dann an den Stadtrand, wo es in unansehnlichen Siedlungen mit günstigen Mietzinsen zu einer Ghettobildung kommen kann. Das ist nicht erstrebenswert, eine gute Durchmischung ist besser. Wenn es Projekte zur Verdichtung gibt, die für eine gute Durchmischung sorgen, dann ist das zu begrüssen. Das ist nicht immer möglich, ich weiss. Daher erstaunt es mich, wenn solche Projekte ebenfalls abgelehnt werden. Das war in Genf am 9. Februar 2020 der Fall. Die Stimmberechtigten erteilten einem kantonalen Verdichtungsprojekt eine klare Abfuhr. Genau die gleichen Stimmberechtigten hatten am gleichen Tag aber dafür die Initiative des Mieterverbandes, die günstigen Wohnraum forderte, mit 60 Prozent angenommen! Das ist ein Widerspruch, den ich nicht verstehe.  
 
Jede Gemeinde plant ihre Entwicklung selbst. Ketzerische Frage: Müsste man das «von oben», also vom ARE aus, zum Beispiel, koordinieren? 
Feller: Ich glaube nicht an zentralistische Lösungen. Unser neues Raumplanungsgesetz ist sehr streng. Mehr Eingriff seitens des Bundes wäre heikel. Das könnte zu einer noch grösseren Opposition gegenüber Bauprojekten führen.  
 
Würden in Stadtzentren Gebäude um eine Etage aufgestockt, könnte Wohnraum gschaffen werden, ohne dass Landreserven verloren gehen. Warum passiert das nicht? 
Feller: Technisch ist es nicht einfach und es gibt Opposition von den Anwohnerinnen und Anwohnern, wegen Schattenwurf oder weil ihnen die Aussicht verbaut wird. Es gilt, eine Interessensabwägung vorzunehmen. Klar ist, dass es auch bei einem guten Projekt mehr Leute im Quartier geben wird. Gerade während des Lockdowns wegen Corona hat sich gezeigt, dass eine hohe Konzentration von Personen in den Städten ein Problem ist. Das bleibt den Leuten im Gedächtnis, es ist ein Argument gegen die Verdichtung. 
 
Einsprachen können Bauprojekte auf lange Zeit blockieren beziehungsweise sogar verunmöglichen. Soll unser Baugenehmigungsverfahren geändert werden?  
Feller: Die Möglichkeit, Einsprachen zu machen, soll nicht eingeschränkt werden. Ich bin dagegen, staatsrechtliche Möglichkeiten zu beschneiden. Was ich mir wünsche, ist eine Beschleunigung der Verfahren. Heute geht alles viel zu langsam. Man kann Einsprachen vermeiden, wenn man Projekte vorlegt, die auf Gefallen stossen, weil sie eine gute Lebensqualität ermöglichen. Zudem soll man die Einwohnerinnen und Einwohner durch eine gute Kommunikation in die Planung einbeziehen.  
 
Kennen Sie ein gutes Beispiel einer Verdichtung? 
Feller: Von Mobimo, in Lausanne, die Siedlung an der Rue Beau-Séjour. Sie liegt in einem ruhigen Quartier aber gerade beim Bahnhof und man erreicht von da in acht Minuten das Ausgangsquartier Flon.  

Über den Autor

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Schweizerischer Baumeisterverband

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